MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN DER GENDIAGNOSTIK

Autor/innen

  • Peter F. Wieacker

DOI:

https://doi.org/10.24352/UB.OVGU-2020-088

Abstract

Forschungsgegenstand der Humangenetik ist die genetisch bedingte Variabilität zwischen den Menschen. Die klinische Genetik als medizinisches Anwendungsgebiet der Humangenetik beschäftigt sich mit den genetischen Grundlagen von Erkrankungen. Erblich bedingte Erkrankungen sind häufiger als meistens angenommen. Ungefähr 5 % aller Neugeborenen weisen genetisch bedingte Erkrankungen oder Fehlbildungen auf. Viele genetisch bedingte Erkrankungen werden allerdings erst im Laufe des Lebens manifest. Unter Berücksichtigung dieser spät manifestierenden Erkrankungen dürften ca. zwei Drittel aller Menschen im Laufe ihres Lebens von einer oder mehreren erblich (mit)bedingten Erkrankungen betroffen sein. Auch wenn die klinische Genetik zu den jüngsten medizinischen Disziplinen gehört, sind Beobachtungen über erbliche Zusammenhänge und Versuche, Konsequenzen daraus abzuleiten, recht alt. Zum Beispiel wird im babylonischen Talmud erwähnt, daß man von der Beschneidung eines Knaben absehen sollte, wenn bei einem Bruder oder Onkel mütterlicherseits schwere Blutungen im Rahmen dieses Eingriffs aufgetreten sind. Hinter dieser „genetischen Beratung“ steckt die Beobachtung, daß Frauen Überträgerinnen der Hämophilie sein können, von der aufgrund des X-chromosomal-rezessiven Erbgangs männliche Personen mehrfach in einer Familie betroffen sein können. Die Erkenntnis formalgenetischer Aspekte beim Menschen nach der Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln im letzten Jahrhundert hat erstmals wissenschaftlich begründete Aussagen zur Wahrscheinlichkeit für das Auftreten erblich bedingter Erkrankungen erlaubt. Die Fortschritte der Humangenetik, vor allem der molekularen Humangenetik, machen es zunehmend möglich, aus solchen Wahrscheinlichkeiten Gewißheiten zu machen. Damit werden einerseits Hoffnungen geknüpft, daß Erkrankungen immer sicherer diagnostiziert werden und sich in wachsendem Maße therapeutische Konsequenzen daraus ableiten lassen. Andererseits ruft die Vorstellung, daß immer mehr erbliche Merkmale identifizierbar und voraussehbar werden, bei den meisten Unbehagen hervor. In diesem Zusammenhang sollen Möglichkeiten, Grenzen und einige ethische Aspekte der gegenwärtigen Gendiagnostik diskutiert werden.

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Veröffentlicht

2020-03-09

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